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Mein Kiez, meine Spuren – Audiowalk

Ausgestattet mit Aufnahmegeräten erforschen Jugendliche das Leben am Alexanderplatz. Der Ort ist für sie selbst und viele ihrer Interviewpartner einer ihrer Lebensmittelpunkte. Einige von ihnen leben dort. Mit der Hilfe unserer Sound-Kollegen Julia Illmer und Massimo Maio lernen die Jugendlichen, Interviews zu führen, aufzunehmen und mit einem Schnittprogramm zu bearbeiten.

Konzept und Realisation: Julia Illmer und Massimo Maio


Tag 1 / 13. Oktober 2020

geschrieben von Massimo

Der Herbst ist angekommen am Alexanderplatz. Es ist windig und kühl. Vor dem Jara-Container läuft wütende Punkmusik. Auf den Holzbänken sitzen einige Jugendliche und wirken trotz allem gut gelaunt. Sie unterhalten sich lautstark über ihren Musikgeschmack. Die Mikrofone gehen um und erste Interviews entstehen. Frank schwört auf Rap, weil da Dinge ausgedrückt werden können, die mit Alltagssprache nicht einzufangen sind. Und Tom erzählt von seiner Faszination für Techno, der ihm ein Gefühl von Freiheit gibt und die Alltagssorgen vergessen lässt. Er sagt, das sei ein Wunsch, den hier fast alle Jugendliche hätten.

Tag 2 / 14. Oktober 2020

geschrieben von Massimo

Es regnet in Strömen. Und der Alexanderplatz zeigt sich von einer unbekannten Seite. Südlich des Funkturms ist außer ein paar jungen Leuten, die da wie so oft auf den Treppen sitzen, kaum jemand zu sehen. Keine Touristen, keine Einkaufstüten, nur hier und da vereinzelte Passanten mit windschiefen Schirmen. An solchen Tagen kann der Jara-Container im Hof des Haus der Statistik für die straßenaffinen Jugendlichen ein besonders willkommener Zufluchtsort sein. Auf dem Sofa liegt Enno und schläft. In der Küche des Haus der Statistik köcheln die Nudeln und unter der Abdeckung wird geraucht und gequatscht. Tom erzählt von seiner neuen Wohnung und warum er selbst bei so einem Wetter lieber hier ist als alleine zu Hause.

Tag 3 / 15. Oktober 2020

geschrieben von Massimo

Heute Nachmittag fließen Tränen. Daniel vermisst seine Freundin und wird von den andern getröstet. Zusammen sitzen sie vor dem Jara-Container und versuchen, die Stimmung ein wenig aufzubessern. Es entstehen Interviews zur Frage, was einem in schwierigen Momenten als Obdachloser besonders helfen kann. Emre, der jahrelang auf der Straße gelebt hat und noch immer regelmäßig hier am Alex ist, erzählt, wie wichtig die Unterstützung der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für ihn war und ist. Und Ben sagt in seinen Worten das, was so ähnlich schon in vielen Interviews geäußert wurde: Das Wichtigste ist die Gemeinschaft und der Respekt der Gruppe. Er kann sich nichts Schlimmeres vorstellen als das zu verlieren.

Tag 4 / 16. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Emily hat eine ganze Tüte voller Pfandflaschen geschenkt bekommen. Zusammen mit Laura bringt sie sie zum Discounter – dabei haben Sie Mikrofone, um die Szene aufzunehmen. Es wird eine lange Aufnahme, denn der Pfandflaschenautomat nimmt die ganzen Glasflaschen nicht. Die beiden müssen noch zu einem anderen Supermarkt laufen. Dort haben sie mehr Glück und bekommen 4 Euro ausgezahlt. Davon wollen sie sich später etwas zu Essen kaufen. Doch erstmal heißt es, die lange Aufnahme zu hören, Notizen zu machen und ein kleines Hörstück herauszuschneiden, dass in wenigen Minuten vom Erlebten erzählt.

Tag 5 / 19. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Tony hat viel über sich nachgedacht. Und er hat Pläne für die Zukunft! Nach vielen Jahren im Heim und einigen Jahren auf der Straße, will er seinem Leben eine andere Wendung geben – vor allem möchte er unabhängig sein. Wie lassen sich sein bewegtes Leben und seine wichtigsten Ziele in einem kurzen Hörstück vermitteln? Am Computer kürzt Tony das Interview, das er gegeben hat bis schließlich aus einer halben Stunde zwei Minuten geworden sind.

Tag 6 / 20. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Wir sprechen über den geplanten Audiowalk. Mit einer Boombox wollen wir losziehen und ausgewählte Interviewausschnitte, die während des Workshops entstanden sind, auf dem Alex hören. Es werden vertraute Menschen, aber auch Fremde kommen, vielleicht hören auch ein paar Passanten zu. Emily freut sich, wenn ihre Geschichte an dem Ort zu hören ist, wo sie so viel Zeit verbringt. Marco ist es unangenehm, wenn alle hören können, wie es ihm beim Schnorren in der S-Bahn geht. Wir überlegen, welche Töne wir spielen wollen und welche nicht.

Tag 7 / 21. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Der Alexanderplatz ist groß und hat so viele Facetten. Da ist der südliche Teil mit dem Neptunbrunnen, den breiten Treppen vor dem Fernsehturm der Marienkirche und dem Volleyballfeld, wo früher mal der Jara-Container stand – der Teil des Platzes, wo die meisten Teilnehmenden gerne ihre Zeit verbringen. Und da ist der nördliche Teil mit der Weltzeituhr und vielen, vielen Geschäften. Wir überlegen, wo die Audiowalk-Route lang führen soll und entscheiden uns für einen Spaziergang über den nördlichen Platz: von der S-Bahn zum Jara-Container, der nun im Hof vom Haus der Statistik steht. So folgen wir dem Weg, den die meisten Teilnehmenden gehen, wenn sie zum Jara wollen.

Tag 8 / 22. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Noch ein Tag bis zur Premiere! Die Hörstücke sind ausgewählt, die Route steht. Wir schalten ein letztes Mal die Mikrofone an und nehmen für jeden Interviewausschnitt ein kleines Intro auf. Wir ziehen uns die finalen Audiofiles aufs Handy und laufen unsere Route ab. Wie wirken die Interviews, wenn wir sie auf dem Alex hören? Gibt es dort Orte, die zu einzelnen Tönen besonders gut passen? Vielleicht die Geschichte wie Tom obdachlos wurde unter der S-Bahn-Brücke, wo immer ein paar Obdachlose ihr Lager aufgeschlagen haben?
Wir sind gespannt, wer morgen kommt, wer sich für unsere Geschichten und unseren Blick auf den Alex interessiert!

Premiere am 23. Oktober 2020

geschrieben von Julia

Mit bunten Regenschirmen stehen um 17.30 Uhr rund 20 Gäste an der Weltzeituhr. Gemeinsam spazieren wir vom Alexanderplatz zum Jara im Haus der Statistik. Unterwegs bleiben wir immer wieder stehen, lassen den Alexanderplatz auf uns wirken und hören Ausschnitte aus den Interviews, die hier in den letzten Tagen entstanden sind.

Wer den Audiowalk “Blume auf Asphalt – Leben am Alexanderplatz” verpasst hat, kann ihn hier nachhören:

https://aporee.org/mfm/web/ Einfach nach Asphalt suchen 


Das Projekt wird unterstützt durch das Programm MeinLand – Zeit für Zukunft der Türkischen Gemeinde in Deutschland im Rahmen des Bundesprogramms Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Es wird umgesetzt von einem Bündnis aus den Berliner Einrichtungen Expedition Metropolis e.V., Knüpfwerk e.V. und SozDia Berlin GmbH sowie dem Aktionspartner JugendAktionsRaum vom Moabiter Ratschlag e.V. Das Bündnis ermöglicht bildungsbenachteiligten Jugendlichen, sich auf mediale und ästhetische Weise mit dem Berliner Alexanderplatz auseinanderzusetzen, einem ihrer Lebensmittelpunkte, der für einige auch eine Art Zuhause ist.